| Weiterbildung / Alphabetisierungsinitiative

Breites Bündnis gegen funktionalen Analphabetismus im Land

„Die Fähigkeit, ausreichend lesen und schreiben zu können, ist eine ganz zentrale Voraussetzung dafür, uneingeschränkt am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Sie hilft entscheidend, sich im Alltag ohne Probleme zurechtzufinden. Und sie bestimmt die Chancen auf dem Arbeitsmarkt wesentlich mit. Das Problem des funktionalen Analphabetismus kann man nicht alleine an den Schulen festmachen, und es ist auch nicht allein von den – auf diesem Feld bereits sehr aktiven – Weiterbildungseinrichtungen zu bewältigen. Vielmehr ist die Gesellschaft insgesamt gefordert, sich diesem Problem zu stellen und bei seiner Bewältigung zu helfen. Ich freue mich daher, dass es uns gelungen ist, viele wichtige gesellschaftliche Akteure für eine ,Initiative für Alphabetisierung und Grundbildung‘ in Rheinland-Pfalz zu gewinnen.“ Das erklärte Bildungs- und Weiterbildungsministerin Doris Ahnen heute in Mainz anlässlich der Vorstellung der neuen Initiative, die künftig mit einer eigenen, speziellen Internetpräsenz – dem „Alpha-Portal“ – verbunden sein wird.

Unzureichende Lese- und Schreibfähigkeit (funktionaler Analphabetismus) ist nach einer Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2011 ein größeres Problem als bis dahin angenommen wurde. Die Studie bezifferte den Anteil der Betroffenen an der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland mit 14 Prozent. Auch vor dem Hintergrund dieser Zahl hatte der rheinland-pfälzische Landtag die Gründung einer gemeinsamen Initiative mit wichtigen gesellschaftlichen Akteuren gefordert, um Erwachsene ohne ausreichende Lese- und Rechtschreibkenntnisse zur Teilnahme an entsprechenden Weiterbildungsmaßnahmen zu motivieren und um sie auf ihrem weiteren Bildungsweg zu unterstützen.

Die vom Landtag angestoßene Initiative hat inzwischen breite Unterstützung gefunden. Kommunale Spitzenverbände, Sozialpartner – also Unternehmervertreter und Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, die Bundesagentur für Arbeit, Kirchen, Weiterbildungsträger und weitere Akteure der Zivilgesellschaft haben in einer gemeinsamen Erklärung ihren Willen zum Ausdruck gebracht, möglichst vielen betroffenen Menschen den Zugang zu dieser Grundbildung zu ermöglichen. Um dies zu erreichen, wird eine intensive Zusammenarbeit von Weiterbildungsanbietern und den gesellschaftlichen Akteuren angestrebt, die besonderen Zugang zu den Betroffenen haben.

„Lesen und Schreiben sind Schlüssel zum Arbeitsmarkt“, sagte der rheinland-pfälzische DGB-Landesvorsitzende Dietmar Muscheid. „Funktionale Analphabeten, also Menschen, die nur über eine extrem eingeschränkte Lesekompetenz verfügen, bleiben oft arbeitslos. Wenn sie doch eine Stelle finden, handelt es sich in der Regel um prekäre Beschäftigung. Sie landen häufig im Niedriglohnsektor.“ Ein weiteres Problem dieser Menschen sei große Scham, unterstrich der DGB-Landesvorsitzende. „Sie haben Angst, dass sie ihre Arbeit verlieren, wenn ihre Defizite bekannt werden. Deshalb vertrauen sie sich Kollegen oder Vorgesetzten nicht an – und erfahren natürlich auch keine Hilfe.“ Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, gut vernetzte und geschulte Vertrauensleute in den Betrieben zu haben. Die Benachteiligung während der Erwerbstätigkeit setze sich auch später fort. „Altersarmut ist vorprogrammiert. Wir sehen in der neuen Initiative für Alphabetisierung und Grundbildung daher einen wichtigen Schritt, um Menschen mit eingeschränkten Lesefähigkeiten effektiv helfen zu können“, hob Dietmar Muscheid hervor. Er verwies darauf, dass der DGB sich bereits mit Alphapetisierungsprojekten in den Betrieben engagiert und verwies auf das Projekt „BasisKom – Basiskompetenz am Arbeitsplatz stärken!“. Dabei werden Personalverantwortliche sowie Betriebs- und Personalräte für das Thema sensibilisiert und qualifiziert, um die Situation der betroffenen Arbeitnehmer zu verbessern.

Für den Geschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände (LVU) Rheinland-Pfalz, Dirk Hannowsky, der den kurzfristig verhinderten LVU-Präsidenten Dr. Gerhard F. Braun vertrat, ist es von zentraler Bedeutung, Unternehmer für das Problem des funktionalen Analphabetismus zu sensibilisieren und gemeinsam Hilfestellungen zu entwickeln. „Denn rund 350.000 funktionale Analphabeten in Rheinland-Pfalz können wir uns einfach nicht leisten.“, sagte der Hannowsky mit Blick auf die Ergebnisse der Hamburger LEVEL ONE-Studie. Wir müssen jeden Schüler seinen individuellen Begabungen gemäß fördern und jeden Mitarbeiter in unseren Unternehmen dort einsetzen, wo er oder sie am leistungsfähigsten ist. Echte Teilhabe in Wirtschaft und Gesellschaft ist aber nur möglich, wenn man die Grundfertigkeiten im Lesen und Schreiben beherrscht. Dafür wollen wir gemeinsam eintreten.“

Auch Jürgen Haßdenteufel, Mitglied der Geschäftsführung der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesagentur für Arbeit, sieht in der Initiative einen wichtigen Beitrag, um die Chancen betroffener Frauen und Männer am Arbeitsmarkt zu erhöhen. „Ein dauerhafter Erfolg von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Arbeitsmarkt hängt wesentlich von der Fähigkeit ab, sich berufliches Wissen im Rahmen einer Ausbildung anzueignen. Genauso wichtig ist es, dieses Wissen durch Fortbildungen und in Selbstlernprozessen ständig anzupassen und zu erweitern. In unserer zunehmend wissensbasierten Gesellschaft werden diese Aspekte immer bedeutsamer. Die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben ist daher ein wesentlicher Schlüssel für eine berufliche Teilhabe“, sagte Haßdenteufel.


Die zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützer der Initiative, zu denen auch die großen christlichen Kirchen gehören, wollen in ihren Bereichen über das Problem des funktionalen Analphabetismus informieren. Zudem sollen so genannte „Schlüsselpersonen“, die einen direkten Zugang zu betroffenen Menschen haben, diese durch Unterstützung und Begleitung motivieren und qualifizieren. Außerdem wollen die Unterstützer bei der Ermittlung des Bedarfs und bei der konzeptionellen Weiterentwicklung der Beratungs- und Kursangebote mitwirken. Durch gemeinsame Aktivitäten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit sollen möglichst viele Menschen für das Problem des funktionalen Analphabetismus sensibilisiert werden.

Für die rheinland-pfälzischen Diözesen dankte der Kommissarische Leiter des Katholischen Büros Mainz, Ordinariatsrat Dieter Skala, der Landesregierung für die Initiative und verwies auf zahlreiche Projekte der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB). Hierbei werden sowohl Kursleiterinnen und Kursleiter von Alphabetisierungskursen für ihre Tätigkeit qualifiziert und mit Materialien unterstützt, als auch in Zusammenarbeit mit den Caritas-Verbänden Grundbildungsangebote für Betroffene an verschiedenen Standorten der Sozialwarenhäuser durchgeführt. Daneben sei es der Kirche aber auch wichtig, dem „nachwachsenden Problem“ Analphabetismus und mangelnde Grundbildung bereits in den landesweit mehr als 700 katholischen Kindertagesstätten und den 75 katholischen Schulen grundständig entgegenzuwirken.

Kirchenrat Dr. Thomas Posern, Beauftragter der Evangelischen Kirchen im Lande Rheinland-Pfalz am Sitz der Landesregierung, schloss sich dem Dank an die Landesregierung für ihr Engagement in der gemeinsamen Initiative an und versicherte, die Evangelischen Kirchen würden sich insbesondere über die ELAG (Evangelische Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung in Rheinland-Pfalz) gerne beteiligen. Da Betroffene ihr Problem aus Scham vielfach nicht thematisierten, suchten evangelische Erwachsenenbildungseinrichtungen den Kontakt zu ihnen niedrigschwellig beispielsweise in der Tafelarbeit und in den über 437 Kindertagesstätten in evangelischer Trägerschaft. Außerdem qualifizierten sie Ehrenamtliche für die Einzelbetreuung von Betroffenen. Posern betonte: „Eine ausreichende Lese- und Schreibfähigkeit ist auch jenseits der Anforderungen des Arbeitsmarktes eine wesentliche Voraussetzung für Selbstachtung und Teilhabe am öffentlichen Leben!“

Mit der Initiative soll auch ein Beitrag zur Erhöhung des Kursangebotes im Bereich Alphabetisierung und Grundbildung geleistet und gegebenenfalls die Teilnahme an Kursen unterstützt oder gefördert werden. Aus Sicht der Organisationen, die sich auf dem Feld der Weiterbildung engagieren, ist es „für die staatlich anerkannten Landesorganisationen der Weiterbildung und den Verband der Volkshochschulen selbstverständlich, sich an der Initiative zu beteiligen“, betonte Gabriele Schneidewind, Vorsitzende des Landesbeirates für Weiterbildung. „Die Weiterbildungsorganisationen gewährleisten dadurch, dass sie von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen – vor allem von Kirchen, Gewerkschaften und Sportverbänden aber auch von alternativen Vereinigungen – getragen werden, zusammen mit dem kommunalen flächendeckenden Angebot der Volkshochschulen und exzellenten Netzwerkstrukturen bereits jetzt einen breiten Zugang zu den Angeboten der Grundbildung und Alphabetisierung. Sie sind damit die wichtigste Angebotssäule auf diesem Feld. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, das breit gefächerte Angebot auszubauen, inhaltlich weiterzuentwickeln und bessere Strukturen zur Verfügung zu stellen. Ebenso muss die Qualifizierung derjenigen Kursleiterinnen und Kursleiter intensiviert werden, die in diesem Bereich zusätzliche Kompetenzen benötigen. Eine breit aufgestellte Initiative mit vielen zusätzlichen gesellschaftlichen Kräften kann hier eine zusätzliche inhaltliche Bereicherung bieten“, hielt Gabriele Schneidewind weiter fest.

Bildungs- und Weiterbildungsministerin Ahnen betonte, durch den Austausch über Alphabetisierungs- und Grundbildungsaktivitäten, von in der Praxis bewährten Beispielen, von Erfahrungen mit Bildungskonzepten, von unterschiedlichen Finanzierungsmöglichkeiten und von neuen wissenschaftlichen Ergebnissen solle für alle Beteiligten an der Initiative „Alphabetisierung und Grundbildung“ eine größtmögliche Transparenz geschaffen und ein weitestgehend gleicher Wissensstand sichergestellt werden. Mit präventiven Initiativen und Maßnahmen zur Förderung von Lese- und Schreibfähigkeiten bei Kindern und Jugendlichen wollten die Beteiligten der Initiative zudem dazu beitragen, dass die Zahl der von funktionalem Analphabetismus Betroffenen in Zukunft weiter sinkt.

„Der größeren Transparenz dient auch die neue Internetplattform ,Alpha-Portal Rheinland-Pfalz‘, die heute online geht und sich sowohl an Betroffene als auch an Lehrende und an Schlüsselpersonen im Bereich der Alphabetisierung und Grundbildung richtet. Das Portal stellt die verschiedenen Aktivitäten im Land vor, gibt eine Übersicht über Alphabetisierungskurse und deren Anbieter und stellt zielgruppenspezifische Informationen – beispielsweise für Lernende, Kursleiterinnen und Kursleiter – bereit“, sagte Doris Ahnen abschließend.

Die Initiative steht weiteren Unterstützerinnen und Unterstützern offen.
Ansprechpartner: Referatsgruppe Weiterbildung im Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (MBWWK) Rheinland-Pfalz,
Rainer Christ (Tel: 06131/164537) oder Klaus Tiggemann (Tel: 06131/164021).
Weitere Informationen im Internet unter
: <link http: external-link-new-window wird in einem neuen browserfenster ge>www.alpha.rlp.de

Teilen

Zurück