Der Ministerrat hat das Bildungsministerium damit beauftragt:
- die rechtlichen Grundlagen zur Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht-behinderten Kindern und Jugendlichen in der Primarstufe und der Sekundarstufe I zu schaffen;
- Angebote des gemeinsamen Unterrichts unter Einbeziehung aller Schularten in diesen beiden Schulstufen so auszubauen, dass dem uneingeschränkten Wahlrecht der Eltern Rechnung getragen werden kann;
- eine Konzeption zur Weiterentwicklung von ausgewählten Förderschulen zu „Förder- und Beratungszentren“ zu erarbeiten;
- Formen der Fortsetzung des inklusiven Unterrichts im berufsbildenden Bereich insbesondere für schwerbehinderte Jugendliche durch Kooperation von berufsbildenden Schulen und der Berufsschulstufe an Förderschulen zu erproben;
- ein Konzept für die Öffentlichkeitsarbeit zu entwerfen und die Information sowie die Partizipation der Beteiligten zu gewährleisten.
„Bei der Umsetzung dieses ehrgeizigen Konzepts können wir auf einer guten Grundlage aufbauen“, betonte Doris Ahnen.
Gute Ausgangslage und klares Ausbauziel
Mit knapp 14.800 Kindern und Jugendlichen werden im aktuellen Schuljahr 2012/2013 rund 3,8 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz in 138 Förderschulen unterrichtet. Das Angebot ist dabei differenziert in neun verschiedene Förderschwerpunkte: Lernen, Sprache, ganzheitliche Entwicklung, motorische Entwicklung, sozial-emotionale Entwicklung, Gehörlose, Schwerhörige sowie Blinde und Sehbehinderte. Diese Quote weise den zweitniedrigsten Wert in einem Bundesland auf, hielt Bildungsministerin Ahnen fest und ergänzte: „Das ist ein Beleg dafür, dass unsere Regelschulen bereits eine sehr große Leistung bei der Integration von Kindern mit Behinderungen erbringen.“
Rund 19.700 der etwa 383.400 Schülerinnen und Schüler in der Primarstufe und der Sekundarstufe I haben aktuell sonderpädagogischen Förderbedarf. Der so genannte Inklusionsanteil – also der Anteil dieser Schülerinnen und Schülern, die gemeinsam mit nicht-behinderten Altersgenossen an Regelschulen unterrichtet werden, – liegt landesweit bei fast 25 Prozent (Bundesdurchschnitt 2011/2012 lag bei 22,3 Prozent). Inklusive Unterrichtsangebote gibt es vor allem in den mittlerweile 255 „Schwerpunktschulen“, die von fast 3.700 behinderten Schülerinnen und Schülern besucht werden, aber auch für mehr als 1.200 behinderte Kinder und Jugendliche mit Hilfe individuell zugeschnittener Förderkonzepte in anderen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen. Schwerpunktschulen sind Grundschulen und weiterführende Schulen, die für die Umsetzung des gemeinsamen Unterrichts von behinderten und nicht-behinderten Schülerinnen und Schülern zusätzliche Personalzuweisungen und damit die speziellen Kompetenzen von Förderschullehrkräften und pädagogischen Fachkräften erhalten.
Seit 2002 sei das Netz der Schwerpunktschulen immer dichter geknüpft worden und umfasse derzeit 143 Grundschulen und 112 weiterführende Schulen landesweit, hielt Bildungsministerin Ahnen weiter fest. Für deren Unterstützung durch Förderschullehrkräfte und pädagogische Fachkräfte würden derzeit rund 640 Vollzeitstellen eingesetzt. „Die Landesregierung wird die Möglichkeiten für einen gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Schülerinnen und Schülern konsequent weiter ausbauen. Erfahrungen mit der Nachfrage von Eltern aus dem Land aber auch aus anderen Bundesländern lassen es realistisch erscheinen, dass bis zum Ende der Legislaturperiode rund 40 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule besuchen könnten“, betonte Doris Ahnen. Die weitere Entwicklung hänge entscheidend von der Resonanz der Eltern ab.
Beim Ausbau alle Beteiligten mitnehmen
Um diese deutliche Steigerung des Inklusionsanteils zu ermöglichen und zugleich dem Interesse von Eltern an einer optimalen Förderung ihrer Kinder gerecht zu werden, sei es notwendig, dass alle Beteiligten – Schulleitungen, Lehrerkollegien und Elternvertretungen in den Schwerpunktschulen, den anderen allgemeinbildenden Schulen und in den Förderschulen – auf dem Weg mitgenommen würden, unterstrich Bildungsministerin Ahnen weiter. „Die Förderschulen sind im Inklusionsprozess ein sehr wichtiger Partner. Wir brauchen die dort vorhandene ausgeprägte sonderpädagogische Fachkompetenz im Schulsystem. Und wir werden auch den Lernort Förderschule für diejenigen Kinder weiter anbieten, deren Eltern ihn für ihre Kinder wählen“, hielt Doris Ahnen fest.
Auch die Kompetenzen der Fachverbände, der Selbsthilfeorganisationen, von Lehrergewerkschaften und –verbänden, Hauptpersonalräten und Interessenvertretungen der Betroffenen seien wichtig, um den Inklusionsprozess weiter voranzubringen. Mit ihnen stehe das Bildungsministerium in einem ständigen Austausch.
Um ein gutes Angebot in der Fläche sicherzustellen und dies auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung sowie der finanziellen Auswirkungen zukunftsfest zu gestalten, werde der Ausbau des inklusiven Unterrichtsangebots – ähnlich wie andere schulpolitischen Weichenstellungen der Vergangenheit – in engem Zusammenwirken mit den Kommunen als Schulträger erfolgen, versicherte die Bildungsministerin. Bei einigen Schulträgern im Land seien hier bereits konkretere Überlegungen im Gange.
In dem Landeskonzept zur Weiterentwicklung der Inklusion im schulischen Bereich sind konkret folgende Schritte und Maßnahmen vorgesehen:
- Verankerung eines vorbehaltlosen Wahlrechts für die Eltern von Kindern mit Behinderungen zwischen einem inklusiven Unterrichtsangebot an einer „Schwerpunktschule“ und einem auf die Behinderung abgestimmten Angebot in einer Förderschule im Schulgesetz. „Die Gesetzesänderung wird noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht und soll ab dem Schuljahr 2014/2015 Gesetzeskraft erlangen“, kündigte Bildungsministerin Ahnen an.
- Zielgerichteter weiterer Ausbau des inklusiven Unterrichtsangebots durch Ernennung weiterer Schwerpunktschulstandorte, mit denen noch vorhandene Lücken in dem flächendeckenden Netz geschlossen werden, und durch eine stärkere Auslastung der bereits bestehenden Schwerpunktschulen. Als Orientierungswert gilt dabei ein Anteil von 10 Prozent Integrationsschülerinnen und Integrationsschüler. Die Ministerin erläuterte: Wenn der Inklusionsanteil bis 2016 rund 40 Prozent erreiche, bedeute dies, dass dann rund 3.000 Schülerinnen und Schüler mehr inklusive Unterrichtsangebote wahrnähmen als heute.
- Weiterentwicklung von Förderschulen im Land zu „Förder- und Beratungszentren“. Diese bieten Unterricht an und wirken als sonderpädagogische Unterstützungssysteme, damit sonderpädagogisches Fachwissen überall dort verfügbar ist, wo es erforderlich ist. Mit dem Umbau, der schrittweise und im Zusammenwirken von Schulträgern und Schulaufsicht erfolgen wird, soll insbesondere sichergestellt werden, dass
a) Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, deren Eltern dies wünschen, weiterhin ein spezielles Unterrichtsangebot gemacht wird;
b) Schwerpunktschulen und andere allgemeinbildende Schulen eine qualifizierte sonderpädagogische Beratung und Unterstützung bei der Umsetzung inklusiven Unterrichts erhalten – beispielsweise zur Förderplanung, zur Differenzierung im Unterricht oder zum Nachteilsausgleich bei der Leistungsbewertung;
c) Kooperationsstrukturen in den Regionen aufgebaut werden, die sonderpädagogisches Know-how vor allem zu den verschiedenen Behinderungsformen nutzbar machen.
Bereits jetzt gebe es erste Initiativen in dieser Richtung auf kommunaler Ebene, so die Bildungsministerin. Die ersten Förder- und Beratungszentren sollten zeitlich parallel zum Elternwahlrecht – also zum Schuljahr 2014/2015 – an den Start gehen. - Verankerung der Inklusion in einem neuen Lehrerbildungsgesetz, intensivere Qualifizierung angehender Lehrkräfte für inklusiven Unterricht, verstärkte Kooperation der Studienseminare für das Förderschullehramt mit den Studienseminaren für andere Lehrämter sowie Erweiterung der Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte durch das Pädagogische Landesinstitut (PL).
- Verbesserung des Übergangs Schule-Beruf für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf durch eine verstärkte Kooperation zwischen Schwerpunktschulen, Förderschulen und berufsbildenden Schulen.
- Verstärkte Beratung von Eltern über die ganze Bandbreite der schulischen Fördermöglichkeiten für Kinder mit Behinderungen sowohl in der klassischen Form von Broschüren und Informationsflyern als auch über das Internet.
Für die Umsetzung des Inklusionskonzepts auf der schulischen Ebene stünden bis 2016 zusätzlich zur normalen Unterrichtsversorgung der bestehenden Förderschulen und Schwerpunktschulen insgesamt 200 Vollzeitstellen zur Verfügung, betonte Doris Ahnen. Außerdem stiegen die für inklusive Angebote verfügbaren Personalressourcen mit dem fortschreitenden Inklusionsprozess. Wenn künftig mehr Schülerinnen und Schüler Schwerpunktschulen anstelle von Förderschulen besuchten, könnten damit ergänzende Personalressourcen in den Schwerpunktschulen eingesetzt werden.
Bildungsministerin Ahnen hielt abschließend fest: „Die flächendeckende Umsetzung der Inklusion ist eine der größten aktuellen Herausforderungen für die Bildungspolitik, für die Schulaufsicht und vor allem für die Schulen und ihre Träger. Alle gemeinsam müssen sich dieser Aufgabe stellen. Denn eine humane Gesellschaft muss sich in ganz besonderer Art und Weise daran messen lassen, wie sie mit behinderten Menschen umgeht. Die Schulen und Lehrkräfte im Land haben schon bislang ein sehr großes Engagement bei der Förderung und Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen gezeigt, für das ich sehr dankbar bin. Dies macht mich zuversichtlich, dass wir die vor uns liegenden Herausforderungen bewältigen – zum Wohle der Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen.“